S. Klöhn2022-08-16T13:07:15+02:00
Die Customer Journey geistert schon seit mindestens 15 Jahren durch die Marketing und Online Marketing Welt. Zunächst vor allem als Tracking Overlay indem man die Point of Contact (POC) mit trackt, die ein Kunde durchläuft, insbesondere bis zum Kauf. Dann im Sinne von Customer Journey Mapping um die einzelnen Schritte eines Kunden oder eines Avatars abzubilden und zu visualisieren. Dabei geht es vor allem darum kritische Schritte zu identifizieren oder Schwachpunkte aufzuzeigen. Außerdem gibt es noch den Begriff der Customer Experience Map. Bei der Map geht es vor allem um die Erfahrungen aus Kundensicht und wie die einzelnen Schritte vom Kunden bewertet und empfunden werden.
Grob zusammengefasst kann man sagen das alles darauf abzielt die Customer Journey möglichst vieler User einfach, angenehm und konsistent zu gestalten. Darüber hinaus kann man für verschiedene Journeys unterschiedliche Strategien entwickeln und unterschiedliche Methoden der Ansprache verwenden.
Google Trends zeigt einen recht überzeugenden Aufwärtstrend für das Thema – im Vergleich dazu auch die Suchen nach Native Advertising.
Ich habe mich ein paar Monate mit dem Thema Customer Journey auseinandergesetzt, weil ich mehrere Kundenprojekte dazu hatte und dabei ist dieser Beitrag entstanden, das ich euch hier zeigen möchte. In diesem Artikel geht es nicht darum zu erklären wie die Customer Journey funktioniert oder wie man dabei vorgeht oder was Ihr Nutzen sein soll. Ich möchte die Komplexität aufzeigen und Erfahrungen aus meinen Projekten teilen, damit Ihr wisst auf was Ihr Euch hier einlasst.
Warum die Customer Journey so kompliziert ist
Auf den ersten Blick scheint das einfach zu sein. Im Grunde ist die Customer Journey so eine Art verlängerter und detaillierter Sales Funnel mit Service und Kundenbindung (Loyalty) im Nachgang. Mal sind es mal mehr mal weniger Stages (Phasen), aber grundsätzlich gibt es immer diese Einteilung in Aufmerksamkeit (Awareness), Erwägung (Consideration), Kauf (Acquisition), Service und Bindung (Loyalty). Das gibt es als Kreismodell oder als ineinander verschränkte Loops aber im Grunde geht es immer um diese Phasen.
Das Artikel Bild titelt mit Customer Journey „Layers“ und genau diese verschiedenen Layer bzw. Schichten stellen die Hürde dar, aber auch das Potential der Customer Journey.
Ich verwende englische Begriffe weil die übliche Literatur das auch tut und das englische oft einfach meist besser trifft als die deutschen Übersetzungen (Point of Contac <> Anlaufstelle).
Die einzelnen Steps
Der erste Layer sind die Customer Journey Stages von Awareness bis Loyalty. Diese teile ich auf in die einzelnen Steps für eine typische Journey eines Kunden, der online ein paar Schuhe kauft. Man sieht schon, aus den 5 einfachen Stages werden 16 Steps. Das sind grob die Schritte, die der User aktiv oder passiv durchläuft vom Bedarf bis zum Einstieg in einen erneuten Kauf. Allerdings nur als Beispiel und keinesfalls vollständig; für andere Produkte oder andere Kundengruppen und Business Modelle sieht das vollkommen anders aus. Was aber gleich bleibt ist die Unterteilung der Stages in Steps, die der Kunde durchläuft.
Zunächst geht es also darum, typische Journeys zu identifizieren (Kunde kauft Schuhe) und die Steps dafür zu klassifizieren. Daraus können sich auch mehrere verschiedene Journeys ergeben. Identifiziert man mehrere solcher repräsentativen Journeys, dann sollten diese möglichst individuell sein – ein wenig also wie bei der Entwicklung von Avataren, möglichst typische Vertreter finden die sich möglichst stark unterscheiden.
Customer Journey POCs
Hat man einmal eine Journey identifiziert, gilt es die potentiellen POCs dafür herauszufinden. Das sind die Berührungspunkte, die ein Kunde in jedem Schritt durchläuft bzw. durchlaufen kann. Dabei versuche ich mehrere mögliche POCs zusammenzufassen, damit ich das nicht auch wieder jedes Mal individuell machen muss. Für unsern Kunden hier werden aus den 16 Steps also schon 38 verschiedene potentielle POCs für seine Schuhe Journey.
Der Sinn der Identifikation von POCs ist es die Journey möglichst konsistent zu machen. Das können visuelle Dinge sein, wie Farben, Schriftarten, Schriftgrößen, Logos, Bildwelten, die Anordnung von wiederkehrenden Bestandteilen, usw. Aber auch die Tonalität, die Art der Ansprache, Marketing Botschaften, Visionen und Missionen etc. Alle POCs sollten möglichst konsistent sein. Dadurch identifiziert der Kunde die Marke/das Produkt schneller, wird nicht mit widersprüchlichen Aussagen konfrontiert und findet sich schneller zurecht. Das ist schon mal gar nicht so leicht, aber richtig kompliziert wird es erst im nächsten Layer.
Customer Journey Departments
Ab einer bestimmten Größe liegen die POCs leider nicht mehr alle in einer Hand. Verschiedene Abteilungen/Departments sind dafür verantwortlich. Das gestaltet sich natürlich in jedem Unternehmen unterschiedlich. Zusätzlich kompliziert wird es mit externen Dienstleistern, wie Versanddiensten oder Bezahldienstleistern; die sind natürlich sehr schwer zu beeinflussen, wenn es um die Ausgestaltung der POCs geht.
In unserem Beispiel hier komme ich auf 9 verschiedene Beteiligte die insgesamt 113 verschiedene Schnittpunkte haben. Spätestens dieser Layer zeigt auf, dass die Customer Journey niemals ein isoliertes Projekt sein kann. Möglichst alle Stakeholder innerhalb einer Journey, die für POCs komplett oder auch nur teilweise verantwortlich sind, sollten bei der Ausarbeitung, der Analyse und der Verbesserung der Customer Journey beteiligt werden.
Sich diese potentiellen Mitwirkenden alle an einen Tisch zu holen, alle von der Sinnhaftigkeit eines solchen Projektes zu überzeugen und dann auch im Verlauf des Customer Journey Projekts bei der Stange zu halten kann nicht die Aufgabe eines Einzelnen (Marketing) sein. Ein bisschen erinnert mich das an die Balanced Scorecard. Ein sehr gutes übergreifendes aber auch komplexes Projekt, das nicht nur von der Buchhaltung und dem Controlling gestemmt werden kann. Das muss ein unternehmensweiter Prozess sein – Marketing alleine ist wie man hier schön sehen kann nur ein Teil des Unternehmens, das auch nur auf einen Teil der Customer Journey Einfluss hat.
Customer Journey Duration
Ein weiterer Layer der zur Komplexität beiträgt, ist der sehr starke unterschiedliche zeitliche Verlauf der Journey. Manche der Steps werden in Minuten absolviert, andere wiederum benötigen Tage. In unserem Beispiel habe ich versucht das grafisch darzustellen. Im klassischen Online Retail Shop vergeht schon mal mindestens ein Tag zwischen dem eigentlichen Kauf im Online Shop und dem Erhalt der Ware – meistens aber mehrere Tage. Dagegen kann der Kauf im Shop nur wenige Minuten dauern.
Dazu kommt noch, dass gerade auf die zeitliche Abfolge wenig Einfluss besteht, also z.B. wie lange das Paket zum Kunden braucht (Pakettransport selbst, Kunde nicht zu Hause, Kunde holt das Paket in der Filiale/beim Nachbarn ab) kann alles zwischen einem und 10 Tagen dauern. Beim Rücksende Prozess ist das unter Umständen sogar noch weniger planbar. Umso wichtiger ist es deswegen den Kunden auch in dieser „passiven“ Phasen bei Laune zu halten und zu informieren. Und das bringt mich gleich weiter zum nächsten Layer.
Customer Journey Experience
Diesem Layer sind ganze Beiträge und Blogs gewidmet und steht oft als eigener Zweig der Customer Journey im Mittelpunkt vieler Projekte. Ich denke auch, dass dieser Layer viele Themen zusammenfasst und ineinander vereint. Nichtsdestotrotz ist es wichtig auch die anderen Layer zu kennen.
Im Grunde geht es darum eine Experience Map der Journey zu erstellen, die festhält, wie zufrieden die User in den einzelnen Schritten sind. Ich habe das mal versucht an dem fiktiven Beispiel darzustellen, wie so etwas aussehen kann. Spätestens jetzt wird wieder deutlich, warum es so wichtig ist, möglichst alle Beteiligten in das Projekt zu involvieren. Marketing wird sich schwer tun dem Sprachcomputer der Hotline neue Optionen zuzufügen oder an der Verpackung etwas zu verändern. Genauswenig, wie Customer Management etwas an den Marketing Ads ändern kann.
Vieles davon ist natürlich sehr subjektiv und emotional und solche Maps sollte man im Rahmen eines Workshops erstellen, an dem möglichst viele teilnehmen. Dadurch kann man die Emotionalität vielleicht etwas entschärfen und bekommt einen breiteren Einblick über mehrere Sichtweisen hinweg. Das ist auch deshalb wichtig, weil die einzelnen Verantwortlichen nur sehr selten Informationen austauschen, insbesondere wenn es um die erfassten Daten geht oder die Daten nicht vergleichbar sind, weil auf unterschiedlichen Metriken erfasst oder zusammengefasst werden. Und das bringt mich zum letzten Layer.
Customer Journey Tracking Data
Meistens werden verschiedene Tracking Systeme verwendet um die Kunden auf Ihrer Journey zu tracken und meist haben diese Datensammlungen Vorteile oder bestimme Schwerpunkte. Die größte Schwierigkeit besteht also darin die Customer Journey konsistent in idealerweise einem einzigen System zu tracken. Weil das fast unmöglich oder sehr teuer ist, sollten die verschiedenen Systeme und noch wichtiger die Anwender, die Möglichkeit haben miteinander zu kommunizieren und Informationen auszutauschen, damit ein klares Bild entsteht.
Diese Tracking wäre so lückenhaft wie jedes andere auch, ermöglicht aber eine bessere Identifikation von Schwachpunkten. Außerdem könnte man über den Prozess der Ermittlung der Tracking Daten „Blind Spots“ Identifizieren über die im Unternehmen niemand Informationen hat – in unserem Beispiel also die Verpackung oder die Rücksende-Unterlagen.
Warum es sich trotzdem lohnt
Insgesamt kommen wir also auf 7 Layer. Zusammengefasst ist die große Schwierigkeit bei der Customer Journey das potentiell hohe Maß an Komplexität (mehr Produkte > mehr Avatare > mehr Journeys > mehr Steps > mehr POCs usw.). Gleichzeitig aber auch das fast alle Abteilungen eines Unternehmens direkt oder indirekt einen Einfluss haben; dazu kommen noch die externen Partner und Dienstleister. Die verschiedenen Layer zusammen ergeben dabei fast eine Unternehmens-Kunden Matrix und zeigen die Komplexität eines Kaufprozesses.
Aber genau hier liegt auch das große Potential der Customer Journey. Schafft man es tatsächlich alle Beteiligten von der Sinnhaftigkeit dieses Projektes zu überzeugen und bei der Stange zu halten, dann hat man mit der Customer Journey in meinen Augen ein sehr mächtiges Werkzeug alle Abteilungen und Stakeholder auf das gleiche Ziel einzuschwören und auch die Ergebnisse dieses Projekts an Ziele zu knüpfen.
Die Parallelen zur Balanced Scorecard sind frappierend und genauso wie dabei gilt es im Rahmen der Customer Journey einen ganzheitlichen und transparenten Prozess einzuläuten, der dem ganzen Unternehmen helfen kann. Der große Unterschied zur Balanced Scorecard ist meines Erachtens, dass die Balanced Scorecard sehr stark auf die interne bzw. eigene Bewertung setzt, während die Customer Journey das Unternehmen eher von außen betrachtet und den Kunden in den Mittelpunkt stellt.